LG Wuppertal, JurBüro 2023, 384
LG Wuppertal, Beschl. v. 19.04.2023 – 16 T 139/22
Behandlung eines neuen Vollstreckungsauftrages nach Ermittlung der neuen Schuldneranschrift
Fundstelle: JurBüro 2023, 384
ZPO §§ 753, 802c, 802e, 755
Ein Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher endet nicht automatisch, wenn der Gerichtsvollzieher dem Gläubiger mitteilt, dass der Schuldner nicht ermittelt werden kann und die Vollstreckungsunterlagen an den Gläubiger zurückgibt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Gläubiger die Weisung erteilt hat, dass das Verfahren bis zur Ermittlung einer neuen Anschrift ruhen soll. (L.d.R.)
LG Wuppertal, Beschl. v. 19.04.2023 – 16 T 139/22
Aus den Gründen: I. Die gem. §§ 793, 766 ZPO statthafte und auch im Übrigen gem. §§ 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat auch in der Sache Erfolg. Die Gerichtsvollzieherin hat zu Unrecht die Fortsetzung des ursprünglichen Vollstreckungsauftrages abgelehnt.1. Bei dem Antrag der Gläubigerin handelte es sich eindeutig um einen Antrag auf Fortsetzung des unter hiesigem Az. geführten Vollstreckungsverfahrens. Soweit sich die Obergerichtsvollzieherin U. darauf beruft, der Ursprungsantrag vom 14.06.2021 sei komplett erledigt und nicht ruhend gestellt worden, da keine neue Anschrift ermittelt werden konnte, greift dieser Einwand nicht durch.
Vorliegend hatte die Gläubigerin – entgegen der Annahme des Amtsgerichts im Nichtabhilfebeschluss vom 08.08.2022 – der Gerichtsvollzieherin mit ihrem Vollstreckungsauftrag eine entsprechende Weisung erteilt, für den Fall, dass die Schuldnerin nicht ermittelt werden kann, das Verfahren bis zur Mitteilung einer neuen Anschrift durch die Gläubigerin zum Ruhen zu bringen (vgl. Vollstreckungsauftrag an die Gerichtsvollzieherin vom 14.06.2021 S. 4 unter »P8« »sonstige Hinweise«:»# 4) Zu Modul L: ›Schuldnerermittlungen. Soweit die Schuldnerin von Ihnen nicht ermittelt werden kann, befragen Sie bitte ggf. auch Vermieter, Hausmeister, Nachmieter oder Nachbarn etc. nach dem Aufenthaltsort der Schuldnerin, […]. Führt auch das nicht zu einem positiven Ermittlungsergebnis befragen Sie bitte auch uns als Gläubigervertreter und lassen das Verfahren – bis zur Mitteilung einer neuen Anschrift – ruhen, vgl. BGH, 04.07.2019 – I ZB 71118, Rn. 12.‹)«
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung v. 04.07.2019 – 1 ZB 71/18 – Folgendes ausgeführt: »Das genannte Formular enthält im Modul L (L 1 bis L 9) Bestimmungen über die Ermittlung des Aufenthaltsorts des Schuldners gem. § 755 ZPO. Die Gläubigerin hat den Gerichtsvollzieher im Streitfall durch das Ankreuzen der Module L 3 und L 9 beauftragt, für den Fall des unbekannten Aufenthalts des Schuldners dessen gegenwärtige Anschriften und Angaben zur Haupt- und Nebenwohnung durch Nachfrage bei der Meldebehörde zu ermitteln. Die vom Gerichtsvollzieher demgemäß vorgenommene Aufenthaltsermittlung stellte keine ZPO §§ 753, 802c, 802e, 755 – JurBüro 2023 Ausgabe 7 – 385 selbständige Maßnahme der Zwangsvollstreckung, sondern lediglich eine den Gerichtsvollzieher bei den ihm zugewiesenen Vollstreckungsmaßnahmen unterstützende Hilfsbefugnis dar (BGH, Beschl. v. 21.06.2017 – VII ZB 5/14, NJW-RR 2017, 960 Rn. 7 m.w.N.). Diese Hilfsbefugnis, für deren Erfüllung der Gerichtsvollzieher eine Gebühr nach Nr. 440 des Kostenverzeichnisses der Anlage des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher (Gerichtsvollzieherkostengesetz – GvKostG) und die Auslagenpauschale geltend machen kann (AG Syke, JurBüro 2018, 661 [juris Rn. 5]), soll den Gläubiger von seiner nach der früheren Rechtslage bestehenden Obliegenheit entlasten, den jeweiligen Aufenthaltsort des Schuldners zu ermitteln; außerdem dient sie der Zeitersparnis und damit der Effektivität der Zwangsvollstreckung (vgl. LG Frankenthal, DGVZ 2013, 186, 187 [juris Rn. 7] = RPfleger 2013, 631).3. Wenn die in § 755 ZPO nunmehr enthaltene Regelung danach dem Interesse der Gläubiger dienen soll, kann nicht angenommen werden, dass der dem Gerichtsvollzieher erteilte Vollstreckungsauftrag bereits dadurch geendet hat und das betreffende Verfahren deshalb nachfolgend schon dann nicht mehr weiterbetrieben werden konnte, wenn die entsprechende Hilfsmaßnahme jedenfalls vorübergehend nicht zum erwünschten Erfolg geführt hat. Die von den Vorinstanzen vertretene gegenteilige Auffassung führte außerdem dazu, dass der Gläubigerin die für sie nach der früheren Rechtslage eröffnete Möglichkeit genommen wäre, die vom Gerichtsvollzieher jedenfalls zunächst nicht ermittelte aktuelle Anschrift des Schuldners selbst in dem betreffenden Vollstreckungsverfahren in Erfahrung zu bringen […]Gegen die Annahme, der Vollstreckungsauftrag habe im Streitfall durch die Rückgabe der Vollstreckungsunterlagen an die Gläubigerin nach der erfolglosen Anfrage des Gerichtsvollziehers bei der Meldebehörde geendet, spricht schließlich der Umstand, dass ein Vollstreckungsauftrag durch entsprechende Weisungen des Gläubigers zum Ruhen kommen kann. In einem solchen Fall wird das Verfahren – je nach zeitlichem Ablauf auch nach Rückgabe der Vollstreckungsunterlagen – auf Antrag des Gläubigers fortgesetzt, ohne dass für eine solche Fortsetzung ein neues Formular erforderlich ist (vgl. MüKo.ZPO/Heßler, 5. Aufl., § 753 Rn. 44 f.; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl., § 753 Rn. 14; BeckOK.ZPO/Ulrici, 32. Edition [Stand 01.03.2019], § 753 Rn. 14 und 14.1).«Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer vollumfänglich an.2. Die Gerichtsvollzieherin ist auch weiterhin örtlich zuständig. Die einmal begründete Zuständigkeit ist durch das Ruhen des Verfahrens nicht verloren gegangen. Nach § 802e ZPO ist für die Abnahme der Vermögensauskunft und der eidesstattlichen Versicherung der Gerichtsvollzieher bei dem Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner im Zeitpunkt der Auftragserteilung seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines solchen seinen Aufenthaltsort hat.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Zuständigkeit ist der des Antrags oder Auftragseinganges (§ 753 i.V.m. § 802a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Ein späterer Wohnsitzwechsel oder eine Sitzverlegung berührt die Zuständigkeit entsprechend § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nicht (vgl. MüKo-ZPO/Forbriger, 6. Aufl. 2020, Rn. 9 § 802e Rn. 9; Zöller/Seibel, ZPO, 34. Aufl. § 802e Rn. 2, vgl. auch BT-Drucks. 16/10069, 26).
War die Terminsladung unzustellbar, weil der Schuldner mit bekannter oder unbekannter neuer Anschrift verzogen ist, so muss der Gläubiger zwar grundsätzlich dartun, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Wohnsitz noch im Gerichtsbezirk bestand (MüKo a.a.O., Rn. 10).Vorliegend ergibt sich indes bereits aus der Sonderakte der Gerichtsvollzieherin, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Auftragserteilung noch unter der »O… Str. 42« privat gemeldet war (vgl. Vermerk der Obergerichtsvollzieherin vom 31.08.2021 auf der Zustellungsurkunde vom 24.08.2021). Dementsprechend war eine örtliche Zuständigkeit der Obergerichtsvollzieherin U. begründet. Dass die Schuldnerin nunmehr zu einer Anschrift verzogen ist, die nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der angerufenen Gerichtsvollzieherin liegt, ändert nach den vorgenannten Grundsätzen an ihrer einmal begründeten örtlichen Zuständigkeit nichts. Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass im Vollstreckungsauftrag unter Modul »P5« ebenfalls angekreuzt ist: »Im Falle der Nichtzuständigkeit bitte ich um Weiterleitung des Vollstreckungsauftrags an die zuständige Gerichtsvollzieherin/den zuständigen Gerichtsvollzieher wenn nicht bereits eine Weiterleitung von Amts wegen erfolgt. «Auch wenn also die Gerichtsvollzieherin die Ansicht vertritt, sie sei örtlich nicht zuständig, hat sie die Möglichkeit den Vollstreckungsauftrag an den/die nunmehr zuständige(n) Gerichtsvollzieher(in) weiterzuleiten. II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 788 ZPO bzw. 91 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, denn die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung und die Zulassung ist auch sonst nicht angezeigt, § 574 ZPO.
Eingereicht durch Bernd Drumann, Geschäftsführer der Bremer Inkasso GmbH, Bremen