LG Essen, JurBüro 2020, 553
LG Essen, Beschl. v. 22.07.2020 – 7 T 226/20
Gerichtsvollzieher / Abnahme der Vermögenauskunft / Zusatzfragen / Nachbesserung / zeitlicher Anspruch auf Nachbesserung / Verwirkung
Fundstelle: JurBüro 2020, 553
Thema: ZPO §§ 802c, 802d
Da es keine gesetzliche Regelung gibt, innerhalb welcher Zeit ab Abgabe der Vermögensauskunft eine Nachbesserung zu beantragen ist, sind die Grundsätze der Verwirkung anzuwenden, um die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Danach gilt, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden darf, wenn seit der Möglichkeit, es in Anspruch zu nehmen, längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Inanspruchnahme als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. (L.d.R.)
LG Essen, Beschl. v. 22.07.2020 – 7 T 226/20
Aus den Gründen:
Der Gerichtsvollzieher wird angewiesen, den Schuldner zu laden, damit dieser das Vermögensverzeichnis vom 26.06.2018 (GV DR II) ergänzt, indem er folgende Fragen beantwortet:
- Welche Kunden und Auftraggeber hat er seit seiner Selbständigkeit, zumindest aber in den letzten zwölf Monaten bedient? Der Schuldner hat dabei den vollständigen Namen, die Rechtsform und die Anschrift des Kunden/Auftraggebers anzugeben.
- Welche Umsätze hat er insgesamt mit seinen Kunden/Auftraggebern in welchen Zeiträumen, zumindest aber in den letzten zwölf Monaten, getätigt?
- Welche Umsätze hat er mit jedem einzelnen Kunden/Auftraggeber in den letzten zwölf Monaten getätigt?
- Welche Art von Leistung hat er jedem einzelnen Kunden/Auftraggeber erbracht?
- Wurden alle bereits erbrachten Leistungen den Kunden/Auftraggebern in Rechnung gestellt?
- Hat er auch Leistungen in Schwarzarbeit erbracht? Wenn ja, welche Leistungen nach Art und Umfang für welche Kunden/Auftraggeber?
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Gläubigerin zu 1/4 und der Schuldner zu 3/4.
Eine Gebühr ist nicht zu erheben.
Beschwerde und Erinnerung sind zulässig und überwiegend begründet.
Der Gläubiger kann verlangen, dass der Schuldner eine Vermögensauskunft nachbessert, wenn er ein äußerlich erkennbar unvollständiges, ungenaues oder widersprüchliches Verzeichnis vorgelegt hat. Dazu muss aus dem Vermögensverzeichnis selbst ersichtlich sein, dass die Angaben unvollständig, ungenau oder widersprüchlich sind, oder der Gläubiger glaubhaft machen, dass der Schuldner im Vermögensverzeichnis versehentlich unvollständige oder unzutreffende Angaben gemacht hat (BGH, NJW-RR 2017, 633, 634 [BGH 15.12.2016 – I ZB 54/16]; Zöller/Seibel, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 802d Rn. 17). Ein Selbständiger hat anzugeben, für welche Auftraggeber er in den letzten zwölf Monaten auf welche Weise und in welchem Umfang tätig gewesen und wie hoch die jeweilige Vergütung ist (OLG Köln, JurBüro 1994, 408; AG Brake, JurBüro 2004, 502). Gemessen daran ist die Auskunft vom 26.06.2018 ungenau: Der Schuldner hat lediglich angegeben, er sei als Natursteinhändler selbständig und mache monatlich ca. 5.000,00 € Umsatz und ca. 1.200,00 € Gewinn; Aufträge lägen nicht vor.
Zeitablauf steht dem Antrag nicht entgegen. Die Frage, ob der Gläubiger nicht mehr fordern kann, der Schuldner solle seine Auskunft nachbessern, wenn seitdem eine bestimmte Zeit verstrichen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Nach einer Ansicht ist ein zeitlicher Zusammenhang geboten, weil mit der Nachbesserung das ursprüngliche Verfahren fortgesetzt wird (LG Bonn, DGVZ 2006, 92; AG Münster, DGVZ 2004, 63; Zöller/Seibel, a.a.O., Rn. 18). Andere meinen, ein solcher Zusammenhang sei entbehrlich (AG Brake, a.a.O.; Nober, in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 78. Aufl. 2010, § 802d Rn. 4; Voit, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., 2010, § 802d Rn. 13). Vielfach wird vertreten. Grenze sei (nur) das Verbot des Rechtsmissbrauchs bzw. der Schikane (Würdinger, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2017, § 802d Rn. 2; Paulus, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2016, § 802d Rn. 2; Wagner, in: MüKo-ZPO, 5. Aufl., 2016, § 802d Rn. 14; Walker/Vuia, in: Schuschke/Walker/Kessen/Thole, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl. 2020, ZPO § 802d Rn. 37). Der Bundesgerichtshof hat sich zu der Frage noch nicht ausdrücklich geäußert, in seinem Beschl. v. 19.05.2004 (IXa ZB 297/03 = NJW 2004, 2979 f.) indes einen Zeitraum von anderthalb Jahren zwischen der Auskunft und dem Antrag nachzubessern nicht problematisiert.
Das Gericht schließt sich der zweiten Auffassung an. Der Anspruch auf Nachbesserung ist gesetzlich nicht geregelt, der Gesetzgeber hat ihn zuletzt (BT-Drucks. 16/10069, S. 26) vorausgesetzt. Erkennt man ihn an, gehört er zu dem Vollstreckungsanspruch des Gläubigers, der aus der Verfassung abzuleiten ist: Die Grundrechte des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) und auf effektivenZPO §§ 802c, 802d – JurBüro 2020 Ausgabe 10 – 554 Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) werden beeinträchtigt, wenn sein Titel nicht durchsetzbar ist (BGH, NJW-RR 2016, 1104, 1105 f. [BGH 16.06.2016 – I ZB 109/15]; Gaul/Schilken/Becker-Eberhardt, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl., 2010, § 6 Rn. 1, 7 ff.). Ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, dass der Vollstreckungsanspruch durch Zeitablauf erlischt, existiert nicht. Aus der Terminologie – das alte Verfahren wird fortgesetzt – lässt sich nichts ableiten. Verfahren, die nach den §§ 239 ff. ZPO unterbrochen oder ausgesetzt sind oder ruhen, können auch noch nach vielen Jahren fortgesetzt werden. Eine gesetzliche Regel, an die angeknüpft werden könnte wegen der Länge der Frist, die nötig ist, ist nicht zu erkennen. Jede starre Zeitvorgabe erscheint willkürlich. Daher ist es richtig, die Grundsätze der Verwirkung anzuwenden, die es erlauben, alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Diese Grundsätze gelten auch im Prozessrecht (BGH, NJOZ 2011, 1409, 1410; BAG, NJW 2011, 1833, 1834 [BAG 25.11.2010 – 2 AZR 323/09]).
Der Anspruch der Gläubigerin auf Nachbesserung ist nicht verwirkt. Ein Recht darf nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit, es in Anspruch zu nehmen, längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Inanspruchnahme als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde; der Berechtigte muss unter Umständen untätig geblieben sein, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BAG, a.a.O.; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl. 2020, § 242 Rn. 93–95). Hier fehlt jedenfalls das Umstandsmoment. Die Gläubigerin ist nach dem Erhalt des Vermögensverzeichnisses nicht völlig untätig geblieben, sondern hat zunächst versucht, ihren Anspruch auf andere Weise durchzusetzen. Das ergibt sich aus ihrem Vortrag auf S. 2 des Schriftsatzes vom 31.03.2020, den der Schuldner nicht bestritten hat. Dass er darauf vertraut habe, die Auskunft nicht nachbessern zu müssen, und ihm ein unzumutbarer Nachteil entstünde, wenn er nachbesserte, hat der Schuldner nicht dargelegt.
Das Interesse der Gläubigerin an der Nachbesserung ist nicht deshalb weggefallen, weil jetzt die Zweijahresfrist des § 802d Abs. 1 Satz 1 ZPO abgelaufen ist, denn wenn das alte Verfahren fortgesetzt wird, fallen keine neuen Gebühren an (BGH, NJW-RR 2008/1163 f.; Walker/Vuia, a.a.O., Rn. 40 m.w.N.).
Die Fragen Nr. 7 und 8 aus dem Antrag vom 22.10.2019 sind unzulässig. Eine Nachbesserung zur Beantwortung von Fragen über Vermögenspositionen, die schon zusammengefasst verneint sind, ist unzulässig (BGH, NJW-RR 2017, 633, 634 [BGH 15.12.2016 – I ZB 54/16]). Die Frage Nr. 7, ob es noch Forderungen gegen seine Auftraggeber gebe, die nicht bezahlt seien, hat der Schuldner bereits verneint, indem er die Frage Nr. 9 im Ergänzungsblatt 1 zu Nr. 12 des Vermögensverzeichnisses, ob er Außenstände habe, verneint hat. Damit ist die Frage Nr. 8 gegenstandslos.
Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, die zur Gerichtsgebühr aus der Anmerkung zu Nr. 2121 KV GKG.
Eingereicht von Sven Drumann, Prokurist der Bremer Inkasso GmbH, Bremen