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AG Bremen, JurBüro 2022, 214

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AG Bremen, Urt. v. 19.10.2021 – 16 C 34/21

Feststellungsklage / vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung / Insolvenzverfahren

Fundstelle: JurBüro 2022, 214
Thema: ZPO § 256; InsO 302 Nr. 1; BGB § 823 Abs. 2 Satz 1; StGB § 263

Legt der Schuldner Widerspruch gegen die Anmeldung einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung ein, kann der Insolvenzgläubiger Klage auf Feststellung dieses Rechtsgrunds erheben. Der Schuldner begeht gem. § 263 StGB einen Betrug, wenn er in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit einen Vertrag (hier: Gutachtenauftrag) unterschreibt, ohne den Kläger über seine Zahlungsunfähigkeit aufzuklären. (L.d.R.)

Aus den Gründen:

Die Klage ist zulässig und begründet.

I. Die Klage ist zulässig, insbesondere liegt das für die Feststellungsklage gem. § 256 ZPO Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse vor. Es ergibt sich aus § 302 Nr. 1 InsO, wonach eine Forderung, die aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung entstanden ist, von der Restschuldbefreiung ausgenommen ist.

Legt der Schuldner Widerspruch gegen die Anmeldung einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ein, kann der Insolvenzgläubiger Klage auf Feststellung dieses Rechtsgrunds erheben (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 21.06.2007 – IX ZR 29/06, NZI 2007, 532 m.w.N.).

Da der Beklagte den Rechtsgrund der unerlaubten Handlung bestritten hat, hat der Kläger als Gläubiger ein Interesse an der entsprechenden Feststellung.

II. Die Klage ist begründet. Der Kläger kann die begehrte Feststellung verlangen, da seine Forderung gegen den Beklagten aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung stammt.

Die Forderung gegen den Beklagten beruht auf § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB i.V.m. § 263 StGB.

Gem. § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB ist derjenige, der gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt, dem Geschädigten zum Schadensersatz verpflichtet.

§ 263 StGB ist ein solches Schutzgesetz (vgl. BGH, Urt. v. 21.06.2007 – IX ZR 29/06, NZI 2007, 532 m.w.N.).

Der Beklagte hat gem. § 263 StGB einen Betrug begangen, indem er den Gutachtenauftrag am 23.08.2015 unterschrieben hat, ohne den Kläger über seine Zahlungsunfähigkeit aufzuklären.

Gem. § 263 Abs. 1 StGB begeht einen Betrug, wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält.

1. Der objektive Tatbestand des Betruges ist erfüllt.

Er erfordert eine Täuschungshandlung, einen dadurch hervorgerufenen Irrtum, eine darauf beruhende Vermögensverfügung und einen stoffgleichen Vermögensschaden.

a) Der Beklagte hat eine Täuschung gegenüber dem Kläger begangen, indem er ihn nicht darüber aufklärte, dass er zahlungsunfähig ist, als er den Vertrag am 23.08.2015 unterschrieb.

Die Täuschungshandlung ist gem. § 263 Abs. 1 StGB das Vorspiegeln falscher Tatsachen. Dies kann auch durch ein aktives Tun mit zusätzlichen Erklärungswert geschehen.

Tathandlung i.S.d. Betrugstatbestandes kann bei einem Vertragsschluss auch die Täuschung über die unzureichende Leistungsfähigkeit des Schuldners sein (vgl. MüKo zur InsO, 4. Aufl. 2020, § 302 Rn. 11).

Durch das Unterschreiben des Vertrages hat der Beklagte schlüssig mit erklärt, dass er fähig ist, das vereinbarte Honorar für die Gutachtenerstellung zu zahlen. Wie die Erklärung verstanden werden durfte, bestimmt sich danach, wie ein objektiver Beobachter des entsprechenden Verkehrskreises die Erklärung verstehen durfte. Ein objektiver Beobachter versteht das Unterschreiben eines Vertrages, in dem ein konkret beziffertes Honorar als Gegenleistung für die Erstattung eines Gutachtens steht, als Erklärung, dass der Unterzeichner auch in der Lage ist, diese Zahlung zu erbringen.

Diese Tatsache war falsch, da der Beklagte unstreitig bereits bei Abschluss des Vertrags nicht in der Lage war, das vereinbarte Honorar aufzubringen.

b) Durch das Unterzeichnen des Vertrages hat der Beklagte beim Kläger den Irrtum erregt, dass er den vereinbarten Betrag zahlen kann und wird. Ein Irrtum ist eine Fehlvorstellung über Tatsachen. Dass der Beklagte zahlungsfähig ist, ist eine Fehlvorstellung.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger vor dem Vertragsschluss nicht darüber aufgeklärt wurde, dass der Beklagte zahlungsunfähig ist.

Nach übereinstimmenden Angaben der Parteien gab es zunächst telefonischen Kontakt zwischen dem Beklagten und dem Kläger, um über den Sachverhalt zu sprechen. Daraufhin bat der Beklagte den Kläger, das Gutachten zu erstatten. Der Kläger sendete dem Beklagten im August das Vertragsformular zu. Der Beklagte unterschrieb das Vertragsformular am 23.08.2016. Erst danach, im September 2015, war der Kläger in der Wohnung des Beklagten, um die Begutachtung vorzunehmen.

c) Eine Vermögensverfügung ist jedes Tun oder Unterlassen, das der Getäuschte irrtumsbedingt vornimmt und welches Teile seines Vermögens unmittelbar auf einen anderen verschiebt.

Der Kläger ist durch den Vertragsschluss eine Verbindlichkeit gegenüber dem Beklagten eingegangen und hat dadurch eine Vermögensverfügung getroffen.

d) Der Kläger hat auch einen Vermögensschaden erlitten.

Ein Vermögensschaden tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt. Wurde der Getäuschte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschl. v. 05.12.2017 – 4 StR 323/17, NStZ 2018, 538 m.w.N.).

Bereits durch den Vertragsabschuss ist das Vermögen des Klägers geschädigt, da der Beklagte gegen ihn einen Anspruch auf Erstattung des Gutachtens erhält, dem der – aufgrund der Zahlungsunfähigkeit des Beklagten – minderwertige Zahlungsanspruch gegenübersteht.

Ist der Vertragspartner nicht bereit oder fähig, den vereinbarten Preis zu zahlen, ist der Zahlungsanspruch weniger als seinen nominellen Betrag wert (st. Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 05.12.2017 – 4 StR 323/17, NStZ 2018, 538). Wenn der Täter nicht zahlt, muss der Anspruch zwangsweise durchgesetzt werden. Dies verursacht Kosten und ist mit einem Ausfallrisiko behaftet.

2. Der subjektive Tatbestand ist ebenfalls erfüllt. Der subjektive Tatbestand erfordert Vorsatz und Bereicherungsabsicht.

a) Der Beklagte handelte mindestens mit dolus eventualis (bedingter Vorsatz) hinsichtlich des objektiven Tatbestandes. Dolus eventualis liegt von, wenn der Täter den Erfolg für möglich hält und ihn billigend in Kauf nimmt oder sich zumindest um des erstrebten Zieles willen damit abfindet, mag der Erfolg ihm auch noch so unerwünscht sein. Der Beklagte hielt es mindestens für möglich, dass er durch die Unterzeichnung des Vertrages beim Kläger die Fehlvorstellung hervorrufen könnte, dass er zahlungsfähig ist und fand sich um des erstrebten Zieles willen, ein Gutachten zu bekommen, damit ab.

Dies ergibt sich daraus, dass der Beklagte im Prozess widersprüchliche Angaben machte. So gab er in seiner Klageerwiderung vom 03.03.2021 an, er habe dem Kläger in einem Vorgespräch erklärt, dass er arbeitslos sei und das Gutachten nicht zahlen könne. In der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2021 sagte er, der Kläger sei mit seiner gesamten Ausrüstung vorbeigekommen und der Beklagte habe ihn dann über seine Zahlungsunfähigkeit informiert. In der mündlichen Verhandlung vom 19.10.2021 änderte der Beklagte dann seine Angaben dahingehend, dass seine Ehefrau dem Kläger von der Zahlungsunfähigkeit erzählt habe.

Von seiner Zahlungsunfähigkeit wusste der Beklagte unstreitig und er konnte bei Vertragsunterzeichnung nicht darauf vertrauen, dass der Kläger so lange auf sein Geld warten wird, bis der Beklagte dies – wenn überhaupt – von dem potentiellen Schädiger bekommt.

b) Der Beklagte hatte auch Bereicherungsabsicht. Dies ist die Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.

Absicht bedeutet den auf Erlangung des Vorteils zielgerichteten Willen. Dem Täter kommt es dabei auf die eigen- oder fremdnützige Bereicherung gerade an, sei es auch nur als Zwischenziel.

Das Verhalten des Beklagten im Prozess und auch, dass er im Laufe der Jahre keinen einzigen Euro an den Kläger gezahlt hat, zeigt, dass der Beklagte sich an der Tätigkeit des Klägers bereichern wollte. Er wollte als Zwischenziel ein Gutachten bekommen, ohne dafür selbst Geld zu bezahlen.

Einem Menschen ist nach der Lebenserfahrung bewusst, dass er mit dem Unterschreiben eines Vertrages eine Verpflichtung eingeht und der Vertragspartner darauf vertraut. So kann man auch nicht einen Vertrag über ein Auto oder ein Haus unterschreiben und sich später darauf berufen, man hätte dem Vertragspartner irgendwann nach der Vertragsunterzeichnung gesagt oder sagen wollen, dass man kein Geld hat. Verträge sind bindend. Bereits mit dem Vertragsschluss geht man diese Verbindlichkeit ein und der vorleistungspflichtige Vertragspartner wird zu seiner Vertragstätigkeit (hier: Vorbereitung und Durchführung der Begutachtung) veranlasst. Der Täter weiß nach einer Parallelwertung in der Laiensphäre, dass er auf die Leistung seines Vertragspartners keinen Anspruch hat, wenn er seine Zahlungsverpflichtung von Anfang an nicht erfüllen kann.

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme steht zudem fest, dass der Kläger weder vor Vertragsschluss noch vor Ausübung seiner Tätigkeit in der Wohnung darüber aufgeklärt wurde, dass der Beklagte zahlungsunfähig ist.

Der Beklagte behauptet zwar – zuletzt –, der Kläger sei über seine Ehefrau darüber aufgeklärt worden, dass das Ehepaar kein Geld hätte, ihn zu bezahlen. Der Kläger habe ihnen darauf gesagt, dass es kein Problem sei, da sie erst den Rechtsstreit gegen den Schädiger führen könnten, der das Gutachten dann zahlen müsse. Dies vermochte der Beklagte jedoch nicht zu beweisen.

Ob eine Tatsache bewiesen ist, bestimmt sich nach § 286 Abs. 1 ZPO. Danach hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 03.06.2008 – VI ZR 235/07, juris, m.w.N.).

Es verbleiben erhebliche Zweifel an der Behauptung des Beklagten. Dies ergibt sich aus den Tatumständen, dem Prozessverhalten des Beklagten und den glaubhaften Angaben des Klägers.

Der Beklagte machte widersprüchliche Angaben. Er unterschrieb außerdem einen Vertrag in Kenntnis seiner Zahlungsunfähigkeit. So hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits drei Eintragungen ins Schuldnerverzeichnis, die noch nicht lange her waren. Sowohl der Beklagte als auch seine Ehefrau bestätigten in der mündlichen Verhandlung, dass der Beklagte den Geldbetrag von über 1.000,00 € nie hätte zahlen können. Auch zahlte der Beklagte keine einzige Rate an den Kläger.

Es ist nachvollziehbar, dass der Kläger keine juristischen Angaben dahingehend gemacht hat, dass der Beklagte in einem Prozess gegen den potentiellen Schädiger gewinnen wird. Der Kläger kann nur technische Tatschen feststellen. Er weiß nicht wie ein Gericht den Sachverhalt beurteilt. Auch weiß er nicht. wie der Vertragspartner sich in einem Prozess verhält. Auch bei tatsächlich guten Erfolgsaussichten ist es möglich, dass eine Partei einen Prozess verliert, weil sie den Prozess nachlässig fuhrt und dem Gericht nicht oder nicht rechtzeitig alle Tatsachen mitteilt Auch war die Klage noch nicht einmal eingereicht, sodass der Kläger gar nicht hätte absehen können, wie lange ein Rechtsstreit mit dem potentiellen Schädiger dauert und er auf sein Geld warten musste. Da der Kläger die Materialien zur Probenentnahme extra kaufen musste, ist es nachvollziehbar, dass er sich einen Vorschuss vom Beklagten hätte zahlen lassen, wenn er über seine Zahlungsunfähigkeit aufgeklärt worden wäre.

III. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Der Streitwert beträgt 577,19 € (25 % der Forderung gem. BGH, Beschl. v. 07.05.2019 – II ZA 9/18, BeckRS 2019, 11018 m.w.N.).

Eingereicht von K. Berger, Ass. jur., Bremer Inkasso GmbH

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