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LG Leipzig, Beschl. v. 18.07.2018 – 07 T 378/18

Pfändungs- und Überweisungsbeschluss / Lohnsteuerklasse / Nichtberücksichtigung des Ehegatten / anteilige Nichtberücksichtigung des Kindes / Naturalunterhalt

Fundstelle: JurBüro 2019, 44
Thema: ZPO § 850c Abs. 4

  1. Wird das Einkommen der Schuldnerin nach Steuerklasse IV versteuert, ist davon auszugehen, dass der Ehegatte ein in etwa gleich hohes Einkommen wie die Schuldnerin bezieht. Der Ehegatte ist daher bei der Berechnung des unpfändbaren Einkommens nicht zu berücksichtigen.
  2. Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche des Kindes, die dadurch erfüllt werden, dass die Schuldnerin dem Kind Naturalunterhalt gewährt, sind eigene Einkünfte des Kindes. Sind die Einkommen von Schuldnerin und Ehegatten in etwa gleich hoch, ist das Kind zu 1/2 bei der Berechnung des unpfändbaren Einkommens nicht zu berücksichtigen. (L.d.R.)

LG Leipzig, Beschl. v. 18.07.2018 – 07 T 378/18

Aus den Gründen:

I. Die Gläubigerin beantragte beim Amtsgericht Leipzig am 12.05.2017, eingegangen bei Gericht am 18.05.2017, zwecks Pfändung des Arbeitseinkommens der Schuldnerin den Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 04.07.2017 wurden die angeblichen Ansprüche der Schuldnerin gegen den Drittschuldner auf Auszahlung des gegenwärtig und künftig fällig werdenden Arbeitseinkommens gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen.

Die Schuldnerin bezieht ausweislich der Entgeltabrechnung für Juli 2017 ein Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit in Höhe von monatlich 2.319,80 € brutto/1.563,13 € netto. Sie gewährt ihrer am 21.11.2014 geborenen, in ihrem Haushalt lebenden Tochter Naturalunterhalt. Der Kindsvater ist der Ehemann der Schuldnerin.

Die Gläubigerin beantragte mit Schreiben vom 08.09.2017, bei Gericht am 12.09.2017 eingegangen, den Ehemann der Schuldnerin bei der Berechnung des pfandfrei zu belassenden Betrags als unterhaltsberechtigte Person gem. § 850c Abs. 4 ZPO vollständig unberücksichtigt zu lassen. Die Gläubigerin begründete ihren Antrag damit, dass die Schuldnerin die Steuerklasse IV gewählt habe und diese vornehmlich Ehepaaren mit etwa gleich hohen Einkommen vorbehalten sei. Das Vollstreckungsgericht gab dem Antrag mit Beschluss vom 06.10.2017 statt und änderte den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss antragsgemäß.

Mit weiterem Schreiben vom 02.03.2018, bei Gericht am 07.03.2018 eingegangen, beantragte die Gläubigerin, das minderjährige Kind der Schuldnerin bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Einkommens nur zu 1/2 zu berücksichtigen und begründete dies damit, dass das Kind gegen den Kindsvater einen eigenen hälftigen Unterhaltsanspruch habe. Hierauf sprach das Vollstreckungsgericht mit Schreiben vom 11.04.2018 gegenüber der Gläubigerin die Empfehlung aus, den Antrag zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 02.05.2018, eingegangen bei Gericht am 08.05.2017, hielt die Gläubigerin an ihrem Antrag fest.

Mit Beschluss vom 11.05.2018 wies das Vollstreckungsgericht den Antrag der Gläubigerin vom 03.03.2018 zurück. Hiergegen erhob die Gläubigerin am 24.05.2018, bei Gericht am 25.05.2018 eingegangen, die sofortige Beschwerde. Mit Beschluss vom 01.06.2018 half das Vollstreckungsgericht der sofortigen Beschwerde der Gläubigerin nicht ab und gab das Verfahren zur Entscheidung an das Landgericht Leipzig ab.

II. Die sofortige Beschwerde ist statthaft und zulässig. Sie hat in der Sache Erfolg.

Der von dem Vollstreckungsgericht zurückgewiesene Antrag der Gläubigerin, anzuordnen, das Kind der Schuldnerin bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens zur Hälfte unberücksichtigt zu lassen, ist berechtigt.

Die Voraussetzungen des § 850c Abs. 4 ZPO liegen vor.

Nach § 850c Abs. 4 ZPO kann das Vollstreckungsgericht auf Antrag des Gläubigers nach billigem Ermessen bestimmen, dass eine unterhaltsberechtigte Person mit eigenen Einkünften bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens des Schuldners ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt. Bei der Ermessensentscheidung hat das Gericht seine Entscheidung unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 4 ZPO widerspreche (BGH, Urt. v. 05.04.2005, RPfleger 2005, 371; Urt. v. 21.12.2004, RPfleger 2005, 201).

1) Das Kind der Schuldnerin hat eigene Einkünfte i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO, da ihm gegen den Kindsvater ein eigener Unterhaltsanspruch zusteht.

Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass das Kind in dem gemeinsamen Haushalt der Schuldnerin und ihres Ehemannes lebt. Beide Elternteile erfüllen ihre Unterhaltspflichten folglich »in natura«.

Nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur sind gesetzliche Unterhaltsansprüche, die dadurch erfüllt werden, dass dem Unterhaltsberechtigten durch den Unterhaltsverpflichteten Naturalunterhalt gewährt wird, »eigene Einkünfte« des Unterhaltsberechtigten (vgl. BGH, Beschl. v. 16.04.2015 – IX ZB 41/14, juris; LG Leipzig, Beschl. v. 11.02.2015 – 7 T 841/14, juris; AG Ulm, JB 2003, 216; LG Ansbach, JB 2010, 50; Stöber, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 850c Rn. 12; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 1060; a.A. LG Bayreuth, MDR 1994, 621).

Entgegen der Auffassung des Vollstreckungsgerichts kann der Beitrag des Kindsvaters zum Familienunterhalt selbst dann als eigenes Einkommen des unterhaltsberechtigten Kindes i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO angesehen werden, wenn die Einkommen beider Elternteile im nahezu pfändungsfreien Bereich liegen. Denn für die Einordnung, ob es sich um »eigene Einkünfte« i.S.d. § 850c Abs. 4 ZPO handelt, ist zunächst nicht maßgeblich, wie hoch das Einkommen der unterhaltsverpflichteten Personen ist. Zudem übersieht das Vollstreckungsgericht, dass der Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 ZPO regelmäßig dazu dient, zu einem erheblichen Teil die Wohnungsmiete und andere Grundkosten des Haushalts abzudecken und sich diese Kosten bei mehreren Personen nicht proportional zur Personenzahl erhöhen (so auch: LG Ellwangen, Beschl. v. 30.09.2005 – 1 T 227/05, RPfleger 2006, 88).

2) Zu prüfen ist aber, ob die eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten dazu führen, dass dem Schuldner insoweit kein eigenes Einkommen verbleiben muss, weil der Bedarf des Unterhaltsberechtigten anderweitig gedeckt ist (BGH, Beschl. v. 07.05.2009 – IX ZB 211/08, juris; Beschl. v. 05.04.2005, a.a.O.).

Da die Einkommen der Schuldnerin und ihres Ehemannes annähernd gleich hoch sind, sind diese dem Kind auch in annähernd gleichem Maße unterhaltspflichtig (vgl. § 1606 Abs. 3 BGB). Im vorliegenden Vollstreckungsverfahren ist daher davon auszugehen, dass der Unterhaltsbedarf des Kindes etwa zur Hälfte durch die Unterhaltsleistungen des Ehemannes der Schuldnerin sichergestellt wird, mit der Folge, dass das Kind bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Einkommens des Schuldners nur teilweise zu berücksichtigen ist.

Auch erscheint die von der Gläubigerin begehrte hälftige Nichtberücksichtigung des unterhaltsberechtigten Kindes bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens noch angemessen. Denn bei der Ermessensentscheidung ist einzustellen, dass ein vom Schuldner abhängiger unterhaltsberechtigter Angehöriger gewisse Abstriche in seiner Lebensführung hinnehmen muss, wenn Schulden zu tilgen sind (BGH, NJW-RR 2005, 1239, 1240 [BGH 05.04.2005 – VII ZB 28/05]; Stöber, Forderungspfändung, 15. Aufl., Rn. 1062).

Eine Gefährdung des Kindesunterhalts durch eine Anordnung nach § 850c Abs. 4 ZPO kann das Beschwerdegericht bei zusammenlebenden Elternteilen mit Einkommen in Höhe von je ca. 1.560 € netto nicht erkennen.

3) Das Beschwerdegericht vermag der Auffassung des Vollstreckungsgerichts nicht zu folgen, soweit es ausführt, die Unterhaltsleistung des anderen Elternteils könne eine Anordnung nach § 850c Abs. 4 ZPO nur dann rechtfertigen, wenn diese Unterhaltsleistung tatsächlich so hoch sei, dass davon der individuelle Lebensbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes bereits »vollständig bzw. zu einem großen Teil« bestritten werden könne.

a) In dem Wortlaut der Norm findet sich für diese Einschränkung keine Stütze. § 850c Abs. 4 ZPO verlangt das Vorhandensein eigener Einkünfte des Unterhaltsberechtigten, nicht aber, dass er durch diese seinen individuellen Lebensbedarf größtenteils oder ganz bestreiten können müsste. Eigene Einkünfte, sofern sie nicht unbedeutend sind, sind grundsätzlich berücksichtigungsfähig, da sie den Bedarf des Unterhaltsberechtigten mindern (Herget, in: ZöIIer, a.a.O., § 850c Rn. 15).

b) Es ist auch nicht einzusehen, weshalb dann der andere unterhaltsverpflichtete Elternteil den Unterhaltsbedarf des gemeinsamen Kindes zum mindestens überwiegenden Teil decken soll. Dies insbesondere dann nicht, wenn – wie hier – beide Elternteile über etwa gleich hohe Einkommen verfügen und damit dem gemeinsamen Kind in annähernd gleichem Maße unterhaltsverpflichtet sind.

c) Das Vollstreckungsgericht legt seiner Entscheidung die Annahme zugrunde, dass sowohl der Mindestunterhalt als auch die Freibeträge nach § 850c ZPO stets nur den hälftigen Anspruch des Kindes gegen einen der beiden Elternteile widerspiegeln. Das Vollstreckungsgericht geht demnach in der Konsequenz davon aus, dass der Unterhalt eines Kindes bereits größtenteils durch die Hälfte des Gesamtunterhaltes gedeckt sein müsse. Dem kann nicht gefolgt werden, da der Unterhaltsanspruch in seiner Gesamtheit dazu dient, den Lebensbedarf des Kindes zu decken. Mitnichten muss bereits durch die Hälfte des Unterhaltsanspruchs der Lebensunterhalt zu einem großen Teil oder gar vollständig gedeckt werden.

4) Spiegeln die Freibeträge nach § 850c ZPO stets den hälftigen Anspruch des Kindes auf Unterhalt gegen einen der beiden Elternteile wider, so kann es für die Entscheidung vorliegend jedoch nicht darauf ankommen, dass dies in der Konsequenz zu einer erneuten Teilung des für den Unterhalt des Kindes bestimmten hälftigen Betrags des Gesamtunterhalts führt. Der Unterhaltsanspruch eines Kindes gegen den anderen Elternteil könnte sonst nie im Rahmen des § 850c Abs. 4 ZPO zugunsten des Gläubigers Berücksichtigung finden.

5) Da die Schuldnerin keine weiteren Umstände vorgetragen hat, die zu ihren Gunsten in die Abwägung einzubeziehen gewesen wären, war der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

IV. Die Rechtsbeschwerde wird gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO zugelassen.

Mitgeteilt von U. Buschmann, Ass. jur., Bremer Inkasso GmbH

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